lESEREIHE exilibris. / Art-SALON
"Und wo sind die Menschen?" - werden sie fragen. Wo sind die Helden, die unseretwegen etwas machen oder umgekehrt wir für sie.. Wir kümmern uns doch nicht um uns selbst, nicht für uns eifern wir. Wie es in einem bekannten russischen Film heißt: "Leute, Leute, wo seid ihr!" Tapfere und tugendhafte. Man läuft immer die Gefahr sich in Labyrinthen zu verirren. Auf der Suche. "Ich suche den Menschen" - schrie ein Philosoph. "Ich suche einen Menschen" - teilte vertraulich eine Sängerin mit. Wir suchen auch. Die Rubrik und Ethik verpflichten.
Es geht um den Blues von Schlüssellöchern, besser gesagt - und die Melancholie von Verlusten. Der in der Fremde lebende, seiner vetrauten Laute und Umgebung verlustig gegangene Emigrant, greift in seiner Not nach jedem beliebigen Strohhalm. So füllt sich zuweilen ein Vakuum auf paradoxe Art und Weise. Zum Beispiel durch das Herantasten an die Grundlagen der deutschen Sprache. Wer durchs Schlüsselloch schaut, wird Tintenfässchen erspähen, wer mit dem Ohr an der Tür lauscht, das Kratzen von Federhaltern hören. „Allgemeine Tendenzen des vereinten `russischen` Deutschtums“ – meint der erfahrene Leser. „Nur nichts übereilen, mein Bester, sie überspitzen und verallgemeinern“- schmunzelt die Gemeinde. Verallgemeinerungen und Vergleiche haben etwas tendenziöses und das Tendenziöse ist der „i“-Tüpfel des Subjektivismus. In Thüringens Hauptstadt gibt es, nebenbei gesagt, alles, genau wie in Griechenland: ...einen Dom, Fußgängerzonen, Straßenbahnen, Parks, Mineralquellen, ein Theater, eine Universität, eine Masse sehr unterschied licher Cafes, Bücherläden, Museen... Und obendrein, zum Greifen nah - Weimar, die Kulturhauptstadt Europas 1999, aufgeräumt und herausgeputzt, zur Erbauung der Einheimischen und des Touristenheeres. Es sei mir gestattet, aus meinem persönlichen Brief an Aleksej Parschtschikow zu zitieren, geschrieben zur Zeit der damaligen Ereignisse. “ Weimar ist assymetrisch und kunterbunt...“ Weiterhin ging es um das geklonte Gemüsegartengrundstück des Herrn von und zu... Goethes Gartenhaus im Ilmpark, belagert von Mädchen mit Staffeleien, prima zu malen und zu verkaufen in der näheren Umgebung. An einem etwas anderem, überaus herbstlich-anmutendem Tag stieß der Autor dieses Textes und einer der künftigen Anstifter von EXiLIBRIS bei seiner Suche nach etwas kurzweiligem Vergnügen und dem nichtalltäglichen, alternativem, heißersehntem und kreativem Leben auf das durch seine internationalen Projekte und Herausgabe der Schriftenreihe VIA REGIA bekannt und nahezu charismatisch gewordene Europäische Kultur zentrum Thüringens – „EKT“. Zunächst trat er nur ein, um einen Regenschauer abzuwarten, stieß dabei allerdings auf die Galionsfigur des russischen Konzeptualismus D.A. Prigow. „Ich kann Sie von Parschtschikow grüßen“ – sagte D.D., „ich habe von ihm eben eine E-mail bekommen“. „E-mail poimel (russ.: gehabt) “, kommentierte reimend-korrigierend und vorbeihuschend Herr D.A. So ähnlich, wie wohl einst diverse ruhelose Autoren in Weimar oder in der fernen ukrainischen Künstlerkolonie Kamenka sich getroffen haben, haben sich damals auch die künftigen Mitstreiter von EXiLIBRIS gefunden und zusammengerauft. Nein, D.A. Prigow, hat damit nichts zu tun. Wohl aber Erfurt, in dem sich einstmals ja schon Goethe und Napoleon zusammenfanden, Paganini glänzte, sich Humboldt verlobte und die ersten deutschen Sozialisten ihre Programme hervorzauberten. Die Geburt der EXiLIBRIS wurde von der Germanistin Elena Reichardt und der Slavistin Christina Parnell begrüßt. (Nicht zuletzt dank ihrer Anstrengungen gelang es viele Gäste mit den Texten eines Wladimir Sorokin oder einer Valerija Narbikowa vertraut zu machen.) Auch Dichter, Performer, Literaturologe und Präsident der „Akademie der transrationalen Poesie“ Sergej Birjukow fühlte sich von EXiLIBRIS angetan. Was kommt danach und auf uns zu? Die Zukunft liegt schweigend und schwarz im Dunkeln. Glaubt man allerdings Alexander Genis, dann sind Stille und Dunkelheit wohl das, woraus Literatur entsteht.
Sincerely Yours DD